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  Zurück im Land der Wölfe
 


Welzheimer Zeitung 10. September 2008            
Text: Astrid Szelest

Zurück im Land der Wölfe


Es regnet leicht und wir bahnen uns einen Pfad durch schulterhohes Gras. Immer wieder bleiben wir mit unseren Gummistiefeln in Matschlöchern stecken. Die weitläufigen Wiesen werden nicht bewirtschaftet und wir genießen den Duft der Blüten und Wildkräuter. Unser Weg führt durch einen verwilderten Wald, in dem ein Biber seinen Damm gebaut hat. In der feuchten Erde entdecken wir die Spuren eines jungen Bären. Hier in den Weiten der Taiga sind Wolf, Bär, Elch und Luchs zu Hause. Aus der Ferne sehen wir die Häuser von Puplovo. Das verlassene Dorf ist eine Herberge für Forscher aus Russland und der ganzen Welt. Für die Moskauer Universität ist Puplovo seit vielen Jahren ein festes Standbein. Professor Jason Bedridze und Dr. Andrey Poyarkov leisten hier zusammen mit ihren Studenten wichtige Forschungsarbeit. Joao Almeida, ein Veterinär aus Portugal, ist in seiner Heimat in einem Wolfsprojekt aktiv und momentan zur Unterstützung bei den russischen Forschern und Wölfen.
Das Wiedersehen mit der Wolfsgruppe, die wir im vergangenen Jahr betreut haben, ist ein spannender Augenblick. Aus den Welpen sind mittlerweile stattliche Wölfe geworden. Nach wie vor sind sie in dem 1,5 Hektar großen Gehege. In wenigen Monaten sollen die Tiere ausgewildert werden. Sie sind noch nicht scheu genug und brauchen noch etwas Nachhilfe im Jagen. Nur Lika verlässt die Gruppe früher. Sie hat gelernt über das Gehege zu klettern und war seit einem Monat mehr oder weniger alleine in den Wäldern unterwegs. Immer wieder kehrte sie zu der Gruppe zurück, konnte aber schon selbständig ein Wildschwein erlegen. Kürzlich war sie in Malasi, einem Dorf das wenige Kilometer vom Gehege entfernt liegt. Nachdem sie einem Bauern ein Huhn stibitzte war für Vladimir Bologov klar, dass eine komplette Auswilderung in ein fremdes Gebiet notwendig ist. Zum Schutz von Lika – und der Haustiere. Leider fehlt ihm das Geld um einen höheren, ausbruchsicheren Zaun zu bauen. In der Regel werden die Wölfe vom Gehege aus in die Freiheit entlassen. Sie kommen dann in den ersten Tagen und Wochen immer wieder zu der Umzäunung zurück und finden dort auch noch etwas Futter. So unterstützt Bologov seine Schützlinge bei der Rückkehr in die Wildnis.
Lika hat noch nicht gelernt, dass der Mensch ihr Feind ist. Die russische Regierung bezahlt für jeden erlegten Wolf 45 Euro an die Jäger. Für viele eine einträgliche Einkommensquelle. Die Gefahr, dass Lika immer wieder den umliegenden Dörfern zu nahe kommt ist groß. Wir begleiten sie auf ihrem Weg in die Freiheit. Vladimir Bologov und die Veterinärin Katja Blitchenko bringen die junge Wölfin aus einem Schuppen in die Transportbox. Dies geht schnell und routiniert. Mit Schrauben wird die Box zusätzlich gesichert und auf dem Dach des Uasik, einem russischen Jeep, festgezurrt. Lika wird in sicherer Entfernung zwischen zwei Wolfsrudeln ausgesetzt. So besteht die Chance, dass sie vor dem Winter Anschluss an ein Rudel findet. Vladimir Bologov hat die Erfahrung gemacht, dass Wölfe in unbekanntem Terrain sehr vorsichtig sind und sich nicht an Häuser und Ställe wagen. Über staubige Straßen fahren wir kilometerweit durch die Taiga. Viele Dörfer sind verlassen, Fernsehantennen deuten auf bewohnte Häuser hin. Zwei Frauen waschen Wäsche lachend und singend an einem Fluss. Nachdem die letzten Dörfer weit hinter uns liegen, bahnt sich der Jeep seinen Weg durch Wiesen und Wald. GPS gesteuert fahren wir an einen Waldrand. Vorsichtig wird die Transportbox mit Lika vom Dach gehoben. Die Schrauben werden entfernt und die Türe geöffnet.
Lika zögert und kommt langsam aus der Box. Sie geht gemächlich Richtung Wald und ist sichtlich irritiert von der neuen Umgebung. In hundert Meter Entfernung bleibt sie stehen und dreht sich um. Anschließend verschwindet sie im Wald. Bologovs Gefühle sind gemischt. Wölfe haben einen ausgeprägten Orientierungs- und Geruchssinn. Es ist nicht auszuschließen, dass Lika zu ihrer Wolfsgruppe und dem Gehege zurückkehrt. Mit GPS-Sendern wäre es möglich, das weitere Leben von Lika zu verfolgen. Wohin sie geht, welche Beute sie reißt, welchem Rudel sie sich anschließt, sich fortpflanzt und letztendlich wie lange sie lebt. So ist ihr Beschützer auf Informationen befreundeter Ranger und seine eigene Feldforschung ohne technische Hilfsmittel angewiesen. Natur- und Umweltorganisationen unterstützen in der Regel nur Rehabilitations- und Forschungsprojekte, die nachhaltige Informationen und Ergebnisse vorweisen können. Hier schließt sich der Teufelskreis. Ohne technische Unterstützung keine Dokumentation und Nachweise, ohne Nachweise kein Geld!
Die biologische Station Chisty Less liegt 450 km nordwestlich von Moskau im Dorf Bubonitzy. Neben dem Wolfsprojekt gibt es eine Station, die junge Bären aufzieht und auswildert. Der Schwerpunkt unseres diesjährigen Aufenthalts liegt in der Feldforschung und wir sind viele Stunden in Wald und Feld unterwegs, finden Spuren und Hinterlassenschaften von Wölfen, Bären, Elchen, Wildschweinen, Waschbärhunden und allerlei anderen Tieren. Das feuchte Wetter ist ideal und die Spuren sind so gut sichtbar. Es ist Herbst in der Taiga und die Nächte werden schon empfindlich kalt. Wenn tagsüber dann und wann die Sonne scheint, sonnen sich Kreuzottern und Vipern am Wegrand. Die Bären bereiten sich auf den bevorstehenden Winter vor und wir sehen eine Bärenmutter mit einem älteren und zwei kleinen Jungen. Nicht weit von uns fressen die großen Bären im Haferfeld und die beiden Jungen toben um sie herum. Die Bärin wurde vor einigen Jahren erfolgreich ausgewildert und hat ihren Platz in den Wäldern rund um das Dorf gefunden. Wenige Tage später sehen wir zahlreiche Bärenspuren rund um die Forschungsstation. Bologov erzählt, dass eine Gruppe von jungen Bären im Dorf unterwegs war. Den 6 halbstarken Jungbären begegnen wir kurze Zeit später im Wald. An den gelben Ohrmarken erkennen wir, dass die Tiere aus der Bärenaufzuchtstation kommen.
Laetitia Becker, eine 25-jährige französische Biologin, hat sich für ein Leben mit Wölfen entschieden. Ihr Beruf wurde zur Berufung. Das Wiedersehen mit Laetitia ist herzlich. Sie schreibt momentan ihre Doktorarbeit über eine Wolfsgruppe, die sie betreut und die ebenfalls ausgewildert werden soll. In Chisty Less sind drei Gehege nahe den verlassenen Dörfern Belkovo, Puplovo und Marino. In diesem Jahr hat Vladimir Bologov vier Welpen von einem Jäger in Smolensk gekauft, weitere vier Welpen aus dem Zoo in Tambow und drei Welpen aus dem Sankt Petersburger Zoo. Ein junger Straßenwolf aus Moskau hat bei Bologov ebenfalls sein Zuhause gefunden. So gehören momentan mit den sieben einjährigen aus dem Vorjahr 19 Wölfe zur Station. Jeder Wolf frisst in der Regel 1 kg Fleisch pro Tag. Allein das Futter kostet ca. 7500 Euro pro Jahr. Hinzu kommen Kosten für den Transport, Gehege und die tierärztliche Versorgung. Die Spritkosten für die Fahrt zur Fleischfabrik übersteigen den eigentlichen Futterpreis.
Beeindruckend ist, dass sich Bologov und Becker trotz schwieriger Umstände nicht von ihrer Arbeit und ihren Zielen abbringen lassen. Ihre Forschungsergebnisse können wichtige Anhaltspunkte für weltweite Artenschutzprojekte liefern. Durch ihre Öffentlichkeits- und Aufklärungarbeit in der Bevölkerung aber auch weltweit in Zeitungen und im Fernsehen wollen sie erreichen, dass der Wolf in Russland gesetzlich geschützt wird.